Vom Leben in Melbourne, Australien

Dorothée Lefering lebt seit 2006 in Australien und schreibt seit einigen Monaten auf Ihrem Blog australien-ereignisse regelmäßig über den australischen Alltag. Grund genug, Dorothée in einem ausführlichem Interview zu Wort kommen zu lassen.

Hallo Dorothée. Zunächst vielen Dank, dass Du Dir etwas Zeit für unsere Fragen genommen hast. Wo erreichen wir Dich gerade?

Ich bin gerade in Melbourne. Victoria, Australien.

Bevor wir mit dem eigentlichen Interview beginnen, erzähl uns doch zunächst bitte ein wenig über Dich und Deinen Werdegang.

Ich bin glücklich verheiratet. Nachdem ich in Deutschland Werbekauffrau gelernt habe, habe ich als Projektleiterin in Werbeagenturen gearbeitet und später im Fernstudium meinen Betriebswirt, Fachrichtung Marketing gemacht. Nach einem sehr intensiven Jahr in London, bin ich im März 2006 nach Melbourne, Australien gezogen.

Hier angekommen habe ich zwei Jahre lang als ehrenamtliche Mitarbeiterin in der Spendenberatung im Marketing bei Oxfam Australien gearbeitet. Meinen Arbeitsplatz in der Buchhaltung bei einer australischen Bio-Einzelhandelskette habe ich aufgegeben. Ich habe schon einige Artikel über Australien veröffentlicht und blogge seit Juni 2010 über das Leben in Australien. In meinen Berichten dreht sich alles um die Gesellschaft, die Politik, den Sport, Produkte, die Tierwelt und das Reisen in Australien.

Auswanderer, Reisende, Backpacker, Studenten und Austauschschüler können dort aus erster Hand viele versteckte Tipps von mir erhalten.

Die meisten Leute werden sich sicherlich fragen, warum Du nach Melbourne ausgewandert bist. Dem schließen wir uns gerne an: Warum also Australien bzw. Melbourne?

Seitdem ich als Kind zum ersten Mal von den kühnen und heldenhaften ‚Flying Doctors’ gehört habe, entwickelte ich den Wunsch, nach Australien auszuwandern. Mit sehr viel Energie habe ich es geschafft, mir diesen Traum zu erfüllen.

Das ist eine fantastische Antwort, die so leider nicht stimmt. Mein Mann bekam ein Jobangebot und wir sind gemeinsam hierher gezogen.

Was zeichnet das Land bzw. die Stadt Deiner Meinung nach aus? War es schwer für Dich, mit den Locals in Kontakt zu kommen?

Melbourne liegt an der Port Philip Bucht. Man genießt die Annehmlichkeiten einer großen Stadt, ist gleichzeitig aber auch der Natur sehr nahe. Buchläden, Bars, Restaurants, Kinos und weitläufige Parks plus angenehmes Klima und jeden Tag Sonnenuntergang am Meer. Ein idealer Mix.

Wie in jedem anderen Land auch, dein Gegenüber ist immer so aufgeschlossen wie du selbst. Interesse, Neugier und Offenheit öffnen viele Türen. Es ist kein Problem, mit Australiern in Kontakt zu kommen.

Gibt es irgendwas, was Du aus Deutschland in Australien vermisst und inwieweit hat sich Dein Lebensstil verändert?

Ich vermisse die Sicherheit, die man im Kreise seiner Familie und Freunde hat. Es gibt nur eines, was ich an Deutschland wirklich vermisse und das ist der Karneval in der Südstadt von Köln!

Viel mehr würde ich jedoch sagen, ich vermisse Europa. Wochenendausflüge nach Maastricht, Barcelona, Paris oder London sind sprichwörtlich in weite Ferne gerückt. In Europa kann man sich quasi an jeder Ecke inspirieren lassen, diese Vielfalt fehlt hier. Fernweh hat ja auch was, denn es gibt doch nichts Schöneres als die Vorfreude auf den nächsten Urlaub.

Von Köln brauchte ich, je nach Verkehrsaufkommen, ungefähr zwei bis drei Stunden an die Nordsee, nach Holland oder an die deutsche Küste. Mein Lebensstil hat sich insoweit verbessert, dass ich in ein paar Minuten zum Strand laufen kann, um auf das Meer zu blicken. Genial ist es auch, dass ich an einem Wochenende im Outback einen unendlichen Sternenhimmel erleben und am nächsten während eines Tagesausfluges im Regenwald wandern gehen kann.

Als ich noch in Deutschland gelebt habe, hätte ich nie davon zu träumen gewagt, mal eben nach Sydney zu fliegen, am Bondi Beach zu frühstücken und nachts die Oper zu bestaunen. Das hört sich alles unheimlich nach ‚Jetset’ an, doch so einen Flug bekommt man, wenn man Glück hat, für unter $AU 100.

Du schreibst im „About me“-Text Deines Blogs, dass Du über viele Sachen „einfach nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen“ könntest. Ist dies eher durch Deine eigenen Erwartungen und die Außenperspektive einer Europäerin begründet oder passieren einfach so viele seltsame/krasse Dinge in Down Under?

Warum ich öfter mal ‚die Hände über dem Kopf zusammen schlage’ lässt sich so ganz schnell nicht erklären. Ich bin ohne jegliche Erwartungen hierher gezogen. Australien ist sehr abgelegen und dementsprechend läuft auch das Leben ab. Australien ist ein wunderschönes Land, es gibt viel zu entdecken. Sehr schwer zu ertragen ist jedoch der Chauvinismus, dieses Überlegenheitsgefühl gegenüber Zuwanderern und dem Rest der Welt. Es ist seltsam, wie unsorgfältig mit Fakten über beispielsweise die Zuwanderung, die Ureinwohner oder Asylbewerber umgegangen wird. Medien und Politik schüren Intoleranz. Australien ist ein Einwandererland und die geschilderten Beobachtungen klingen paradox. Wenn man hier lebt, sind sie ein offenes Geheimnis.

Was ist Deiner Meinung typisch australisch?

Ganz spontan fallen mir folgende Dinge ein:

  • Menschenleere Strände. Von denen gibt es unzählige.
  • Der Drang ein eigenes Haus besitzen zu müssen und die daraus resultierenden Vororte, die sich bis zum Horizont dahin ziehen.
  • Australian Rules Football wird seit ca. 1860 in Victoria gespielt. Heute gibt es über 2.000 unterschiedliche Footy-Vereine im ganzen Land.
  • Nationalstolz. Während meiner ganzen Zeit hier in Australien habe ich noch nicht einen einzigen Australier getroffen, der nicht stolz auf sein Land ist.
  • Sonnenschein. Hat man jeden Tag.
  • ‚Mateship’, das Wort kann ich so gar nicht übersetzen. Jeder ist dein Kumpel. Egal in welcher Situation.
  • Koalas und Kängurus. Gibt es nur in Australien!

Um noch mal auf den Punkt der Außenperspektive zurückzukommen: Viele Deutsche, die für längere Zeit im Ausland leben/gelebt haben, berichten, dass Sie einen völlig anderen Blick auf zu Hause entwickelt haben, vor allem aber auch „typisch deutsche Eigenschaften“ an sich entdecken, die ihnen so vorher nicht bewusst waren. Würdest Du das bestätigen bzw. wie sind Deine eigenen Erfahrungen?

Ich habe mich schon immer als typisch deutsch gefühlt. Schließlich bin ich Deutsche und dementsprechend von den Werten des Landes geprägt. Deutschen ist es meistens unangenehm typisch deutsch zu sein, weil es so uncool ist. Warum? Tennissocken plus Sandalen tragen auch die Engländer ganz gerne. Aufgrund meiner Zeit im Ausland muss ich nun aufpassen, gewisse Werte nicht zu verlieren.

Du erwähntest zuvor, dass Du nach Deiner Ankunft zwei Jahre lang als ehrenamtliche Mitarbeiterin in der Spendenberatung im Marketing bei Oxfam Australien erste Erfahrungen in der Entwicklungsarbeit und Einblick in den Aufbau von NGO’s sammeln hast können. Erzähl uns ein bisschen mehr über die Arbeit von Oxfam Australien.

Es gibt 14 nationale unabhängige Oxfam-Organisationen, die sich für eine gerechte Welt ohne Armut einsetzen. Oxfam Australien ist neben USA, Belgien, Kanada, Québec, Frankreich, Deutschland, UK, Hong Kong, Irland, Mexico, Holland, Neuseeland, Spanien, eine davon. Der Fokus der Arbeit liegt auf der Verhinderung des Klimawandels, der Armutsbekämpfung, der Existenzsicherung und der Gleichstellung der Geschlechter. Das besondere an Oxfam Australien ist wohl, dass sie die einzige der 14 Organisationen ist, die Hilfsprojekte im eigenen Land zu unterstützen hat. Ausgehend von im Durchschnitt 3,3 Prozent Wirtschaftswachstum über die letzten 17 Jahre, ist das enttäuschend.

Vor diesem Hintergrund noch eine Frage in eigener Sache: Wir haben uns vor einigen Monaten im Rahmen einer Themenwoche sehr intensiv mit den australischen Ureinwohnern beschäftigt. Nach wie vor scheint uns das Verhältnis des australischen Staates zu den Aborigines eine komplizierte Angelegenheit. Uns würde nun interessieren, inwieweit dieses Thema Teil der öffentlichen Wahrnehmung im australischen Alltag ist? Kannst Du uns darüber etwas berichten?

In all den Jahren, die ich in Australien wohne, hat noch nie jemand besonders viel über die Ureinwohner erzählt. Wenn, dann sind sich meistens alle einig, dass diese allesamt alkohol- oder klebstoffabhängig sind. Warum? Darüber denkt man nicht nach. Auf einer Party habe ich mal eine Australierin gefragt, warum in den Medien so wenig über die Ureinwohner berichtet wird. Euer Eindruck ist ganz richtig, das Thema ist sehr kompliziert. Sie hat angefangen zu weinen und ich wurde mit dieser harmlosen Frage zum Partyschreck des Abends.

Laut der in 2006 durchgeführten Volkszählung leben ungefähr 517.000 Ureinwohner in Australien, deren Lebenserwartung liegt 17 – 20 Jahre unter der der weißen Australier. 72 Prozent aller weißen Australier leben in einem eigenen Haus, die Ureinwohner Australiens leben meistens in Häusern, die im Standard unter dem Durchschnitt liegen. In 2008 lebten 28 Prozent der Ureinwohner in Häusern mit starken Mängeln an der Bausubstanz (Risse im Boden, Risse in den Wänden, Probleme mit Rohrleitungen, Schäden von Termiten verursacht, Holzfäule). In ländlichen Gegenden sind es sogar 39 Prozent.

In 2007 hatte die australische Regierung Gegenmaßnahmen in Reaktion auf Berichte über sexuellen Missbrauch im NT eingeleitet. Sie setzte das Antidiskriminierungsgesetz außer Kraft und konnte so gegen mehr als 45.000 Ureinwohner rassendiskriminierende Maßnahmen ergreifen, z. B. konnte sie ihnen die Verwaltung ihres Vermögens entziehen. Ein Ausschuss der UN hat die australische Regierung aufgefordert sicherzustellen, dass ihr Eingreifen im NT im Einklang mit dem UN-Übereinkommen gegen Rassismus steht. Erst am 1. Juli 2010 wurde der Rassendiskriminierungsakt teilweise wieder rechtsgültig und ab dem 31. Dezember 2010 soll er wieder komplett rechtsgültig sein.

Bis 1969 wurden den Ureinwohnern gegen ihren Willen ihre Kinder weggenommen und bei weißen Familien untergebracht. Die Entschuldigung des ehemaligen Premierministers bei der ‚Stolen Generation’ am 13 Februar 2008 war ein schöner Anfang, doch sollten Taten folgen.

Es bleibt spannend in ‚Lucky Country’. Es muss hinsichtlich der Ureinwohner noch eine ganze Menge aufgearbeitet und erreicht werden.

Und in der guten alten Tradition der berühmt-berüchtigten letzten Worte – hier ist Deine Chance!!!

Meistens kommt es anders als man denkt. Genieße jeden Tag, es könnte dein letzter sein!

Vielen Dank.

Wer mehr über Dorothées Leben in Australien erfahren möchte, dem empfehlen wir den Besuch ihres Blogs: http://australien-ereignisse.blogspot.com/


Dieses Interview veröffentliche ich mit freundlicher Erlaubnis vom Stepin Blog „Weltneugier Erkundungsberichte“.

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