Interview mit Bjoern Kempe, Interculti.com

In aller Welt leben und arbeiten Deutsche. In Chinas wichtigster Industriestadt Shanghai sind es über 10.000. Was erwartet Expats/ Auswanderer in Asien? Und warum kann es sich lohnen, den Schritt in die neue Kultur zu wagen? Darüber sprach ich mit dem Asien-Kenner Bjoern Kempe.

Sie machen eine Webseite über interkulturelle Verhandlungen in Asien. Was kann ich mir unter diesem Begriff vorstellen?

Interculti.com war zunächst ein Medium, mein Buch über interkulturelle Kommunikation zu erklären und weiter zu erörtern. Da ich über 7 Jahre in Hong Kong gelebt habe und im Veranstaltungswesen mit fast allen asiatischen Ländern zu tun hatte, konnte ich sehr praktisch erlernen, wie man mit unterschiedlichen Ländern und Kulturen umgeht. Oft habe ich Deutsche und andere Ausländer erlebt, die absolut unbeholfen sind im Ausland und teilweise als der „Elefant im Porzellanladen“ auftreten.

Interculti.com soll daher kostenlose Tipps für alle Geschäftsleute, Auswanderungswillige, Auslandsstudierende und Reisende geben – um die größten Fettnäpfchen zu vermeiden und sich etwas interkulturelle Kompetenz anzueignen. Da ich nur in Asien Erfahrung habe, berichtet die Webseite auch nur über Asien. Ferner sehe ich Asien als Kontinent der Zukunft mit ungeahnten wirtschaftlichen und politischen Kräften.

Im Oktober 2006 erschien Ihr Buch „Das Geheimnis interkultureller Verhandlungen“ beim VDM Verlag. Was war zuerst da, das Buch oder interculti.com?

Das Buch war der Anlass für interculti.com. Da das Buch „Das Geheimnis interkultureller Verhandlungen“ eine wissenschaftliche Abhandlung zu Thema interkulturelle Kommunikation und Verhandlungsführung ist, wollte ich mit interculti.com ein Gegengewicht für die praktische Seite aufbauen. Dieses Experiment ist gelungen.

Ich über mich

  • Ein guter Tag beginnt mit … Kaffee und Sonnenschein
  • Wenn meine Kinder vorhätten auszuwandern, würde ich ihnen raten, nach …. Asien zu gehen – Vietnam oder Philippinen
  • Meine Freizeit verbringe ich am liebsten mit … Buch schreiben, Kunst, Kultur, Studium
  • Die Zeit vergesse ich, wenn … ich gerade wieder ein Kapitel am Buch schreibe oder neue Einträge für Interculti vorbereite oder am Strand irgendwo liege und ein Buch lese
  • Es bringt mich auf die Palme, … kA.
  • Meine Lieblingsmusik … Enya
  • In 10 Jahren sehe ich mich … weiterhin arbeiten, aber vielleicht in einer anderen Position oder sogar selbstständig. Das wird die Zeit entscheiden. In Shanghai werde ich in 10 Jahren bestimmt nicht mehr sein.
  • Von den Besuchern auf interculti.com wünsche ich mir … mehr Kommentare und Erfahrungsberichte – damit sich die Besucher untereinander austauschen können. Es ist wichtig, über Erfahrungen zu berichten und mit anderen zu teilen und zu diskutieren.

Geben Sie bitte ein Beispiel, was der deutsche Elefant im chinesischen Porzellanladen so anstellt.

Da gibt es viel: Händeschütteln ist typisch Deutsch und wird aber von vielen Asiaten toleriert – daher ist es nicht ganz so schlimm. Einen absoluten Bruch mit der Kultur gibt es aber in Sachen Direktheit oder Stimmeinsatz. Oft sehe ich Touristen, die dann mit den Verkäufern laut um den Preis feilschen oder in Verhandlungen – „nein nein so geht das alles nicht…“. In vielen Ländern Asiens sollte man erstens nie laut werden und zweitens sich so indirekt wie möglich verhalten und sprechen, um zum Ziel zu gelangen.

Sehen Sie sich als eine Art Knigge für Expats in Asien?

JA genau. Ich bin natürlich nicht der ultimative Experte, aber ich versuche, so viele Ratschläge wie möglich zu geben und daher kann man das Wort Knigge durchaus gebrauchen. Knigge steht für richtiges Verhalten und das versuche ich zu vermitteln.

Welche berufliche Ausbildung haben Sie absolviert?

Ich bin Diplom Kaufmann und Groß- und Außenhandelskaufmann. Ich denke, ich werde noch meinen Doktor machen.

Sie selbst leben in Shanghai. Seit wann und was zog sie dorthin?

Nachdem ich bis 2006 in Hong Kong gelebt habe, zog es mich nach Deutschland – da ich noch die „Arbeitskultur“ der Deutschen erlebt hatte. Außerdem wollte ich gerne bei einer international angesehenen Firma arbeiten und weitere Erfahrungen sammeln. Leider habe ich es „kulturell“ und sozial nicht lange in Deutschland ausgehalten. Ich war bereits mental zu weit weg und der Kontrakulturschock saß auch tief. Daher musste ich unbedingt wieder nach Asien, was mir im Sommer 2008 gelungen ist. Shanghai habe ich mir selber nicht ausgesucht – ich wäre gerne wieder nach Hong Kong gegangen. Allerdings verlangen die Arbeitgeber in Hong Kong oft Dinge, die man anderswo nicht haben muss.

… zum Beispiel?

Chinesisch oder spezielle Kenntnisse für Sprachen usw… Auch ist oft das Arbeitsvisum ein Hindernis und die Arbeitgeber möchten oft nicht durch den Prozess der Beantragung gehen.

Die Verdienstmöglichkeiten sind in Shanghai mindestens genauso gut wie in Hong Kong. Es hätte auch Singapur oder Vietnam sein können – für mich stand fest: Asien muss es wieder sein.

Unsere Topliste amüsiert Sie, weil dort China auf Platz 32 der besten Auswanderungsziele steht. Wo würde China auf Ihrer Topliste stehen?

Ja in der Tat – die Topliste hat mich amüsiert. China ist zwar oft nicht beliebt – aus welchen Gründen auch immer – aber in Asien mit Sicherheit das TOP 1 Land, in das Deutsche gehen und oft gehen müssen. Allein in Shanghai leben über 10.000 Deutsche, also mehr als in mancher Kreisstadt in Deutschland.

China ist, wie gesagt, nicht beliebt, aber unter den Auswandererländern mit Sicherheit in den TOP 15 weltweit, da viele Firmen in China ihren Sitz haben und die Arbeitskräfte entsenden. Viele sind also quasi ungewollt hier und fangen aber an, es sich nach einer gewissen Zeit gutgehen zu lassen. INTERCULTI veröffentlicht ab und an ebenfalls TOP Listen für Auswandererländer – wir schauen uns aber meistens die gängige Presse und auch die Zahlen des Bundesamtes an. Diese Liste ist eher eine Wunschliste und da nimmt China zurecht den letzten Platz ein, da es viele andere Länder gibt, in denen es sich sicherlich besser leben lässt.

Auf meiner Topliste steht China auf Platz 9.

…. und was wären Ihre Top Fünf Länder?

In Amerika, Afrika oder Australien war ich noch nicht – daher kann ich über diese Länder nicht urteilen. Sicherlich sind Kanada, Neuseeland und Australien sehr schön, aber wie gesagt, die kenne ich nicht und ich rate den Lesern immer wieder, nicht in Länder auszuwandern, die man nicht kennt. Daher kann ich nur die TOP 5 Länder sagen, die ich kenne, und da sieht meine Wahl so aus:

  1. Philippinen
  2. Österreich
  3. Vietnam
  4. Hong Kong
  5. Italien

Was bringt die Philippinen auf Platz 1? Die Wirtschaftsdaten sicher nicht. Oder falls doch: wodurch relativieren sich das niedrige BIP/ Einwohner und der seit 2003 rückläufige Außenhandel?

Richtig – die Wirtschaftsdaten sind es nicht. Aber wissen Sie, dass die Philippinen eine der höchsten Wachstumsraten haben? Dass die Philippinen in den 70er Jahren viel weiter entwickelt waren, als fast alle anderen asiatischen Staaten (das gilt übrigens auf für Burma)?

Die Philippiner leiden „nur“ unter korrupten Regierungen. Der Rest ist perfekt: Niedrige Lebenshaltungskosten, Englisch wird überall gesprochen, stabile politische Verhältnisse – also keine Massenunruhen, wenige religiöse Proteste, klimatisch einigermaßen stabil bis auf die Mitte und den Norden, der immer mal wieder von Taifunen heimgesucht wird….

Daher bieten sich die Philippinen wirklich als Auswandererland an. Übrigens gibt es auch weniger kulturelle Eigenheiten – das heißt, hier darf man Händeschütteln, direkt reden usw. Asiatische Zurückhaltung gibt es nur selten – dafür spielt die Familie eine wichtige und übergeordnete Rolle.

Hongkong, Shanghai … da kommt man nicht ohne Fremdsprache aus. Welche sprechen Sie und wie haben Sie die erlernt?

Ich selber spreche fließend Englisch und habe Russisch noch in der Schule gelernt. Im Beruf wird hauptsächlich Englisch geredet. Viele meiner Freunde in Hong Kong haben mir immer wieder zu Mandarin geraten, aber ich habe gar keine chinesische Sprache erlernt. Ich verstehe Kantonesisch und spreche ein wenig. Das habe ich vor allem durch meine Freunde und Arbeitskollegen in Hong Kong gelernt und ist ein unbedingtes Muss in Hong Kong. Mandarin wird zwar auch gesprochen und verstanden, aber Kantonesisch ist eben die Muttersprache. Seit einem Monat mache ich nun in Shanghai einen Mandarinkurs – da man ohne Chinesisch wirklich nicht weit kommt. Außerdem rate ich ich auch immer Expats oder Auswanderern, die Sprache zu erlernen. Das ist ein wichtiger Schritt, um die Kultur verstehen zu können.

Was sind Ihrer Ansicht nach die drei ersten Schritte, mit denen sich der deutsche Expat/ Auswanderer auf China vorbereiten sollte und wieviel Vorlaufzeit muss er einplanen, um mit Sprache und Kultur vertraut zu werden?

Ein Expat-Auswanderer sollte sich idealerweise ein Jahr Zeit nehmen, um sich auf die Kultur vorzubereiten. Innerhalb dieses Jahres sollte er:

  1. Etwas die Sprache erlernen
  2. Viel über das Land lesen, vor allem die Geschichte und
  3. Oft in das Land reisen und NICHT in Touristenregionen gehen – um dort mit den Einheimischen zu leben bzw. zu beobachten, wie es dort vor sich geht. Eine erste lokale Freundschaft wäre unbedingt von Vorteil.

Können Sie eigentlich alle Websites ansurfen – die chinesische Regierung soll ja akribisch blockieren…

Ja kann ich! Ich höre immer sehr viel Unsinn über China und was alles nicht erlaubt sein soll. Ich empfange BBC und CNN zu Hause und nur ein paar Seiten – vor allem mit pornographischen Inhalten dürfen von China aus nicht geöffnet werden. Ich kann aber alle deutschen Internetseiten erreichen.

Schränkt die Zensur von Medien und Internet Sie persönlich ein?

Nein überhaupt nicht. Wissen Sie, in China hat man ganz andere Probleme, als sich mit der Politik zu beschäftigen. Die Deutschen lieben ihre Politik und regen sich gerne darüber auf. Hier versucht man, etwas aufzubauen und kümmert sich weniger um Politiker oder Nachbarn oder Arbeitskollegen. Die Medien sind natürlich zensiert – aber interessieren tut es niemanden, da sich jeder anderweitig Informationen und Nachrichten besorgen kann.

Übrigens ist mir aufgefallen, dass auch deutsche Medien sehr einseitig berichten. Es wird zwar nicht zensiert – aber es werden gerne immer wieder Themen genommen, die viel Geld und Interesse mitbringen. Dadurch wurde China Ende der 90er Jahre gefeiert und nun ist China auf einmal gar nicht mehr beliebt – das liegt ebenfalls alles an der einseitigen Berichterstattung der deutschen Medien. Nur bekommt man das als Deutscher gar nicht so mit.

Wie sieht Ihre Beratungstätigkeit für Firmen in China konkret aus? Ich stelle mir da Seminare vor, in denen deutsche Exptas lernen,mit Stäbchen zu essen und nur zu trinken, wenn alle am Tisch mittrinken, ihre Visitenkarte in der richtigen Form zu übergeben, oder damit umzugehen, dass ihre gute Präsentation nur mit einem lächelnden „Danke, das war sehr interessant“ quittiert wird. – Ist das wesentlich oder verfolgen Sie ganz andere Ansätze?

Ich bin Angestellter und habe noch nie darüber nachgedacht, mich als Berater niederzulassen. Ich sehe viele Kulturtrainer, die ihre Sache mehr oder weniger gut machen. Das Messegeschäft macht mir Spaß und ich möchte nur Tipps über Interculti weitergeben – Beratung und Training überlasse ich anderen, die ggfs. mehr Ausbildung in diesem Bereich haben.

Was sind wichtige Adressen für deutsche Expats, um Landsleute in Shanghai zu treffen?

Unter www.schanghai.com ist eigentlich alles zusammengefasst, was Deutsche für die ersten Monate benötigen.

Ist die Entsendung der beste Weg für Deutsche, um in China zu arbeiten? Oder gibt es auch den selbstständigen bayerischen Brezlbäcker in Shanghai (was VOX uns verheimlicht hat!:) ?

Die Entsendung ist sehr beliebt, aber meines Wissens rückläufig. Wissen Sie, ich verstehe nicht, warum Firmen soviel Geld investieren, um Deutsche ins Ausland zu entsenden, denn es gibt viele, die es auch ohne Entsendung machen würden. Die selbstständigen deutschen Fleischer, Bäcker, Berater und Handwerker gibt es alle – und sicherlich gibt es noch Platz für weitere Ideen.

Wollen Sie dauerhaft in Asien leben? Kein Rückzug nach Deutschland im Rentenalter?

Ja, ich möchte dauerhaft in Asien leben. Gerade im Rentenalter möchte ich meine Rente genießen können und nicht bei Aldi einkaufen gehen oder die 20 Uhr Nachrichten sehen. Ich möchte weiterhin lernen, mit Menschen unterwegs sein. Deutschland vergreist, vergraut und niemand kümmert sich richtig. Die Preise sind teuer für ein gutes Leben, die Politik zu kompliziert, das Wetter zu schlecht und die Entlohnung für Arbeit zu niedrig. Alles in allem ist der Lebensstandard für normale Angestellte viel niedriger als in Asien.

Ihre Prognose: Wie und wann wird China die jetzige Krise überwunden haben?

Nun China kämpft zwar auch mit der Wirtschaftskrise – ist aber weniger stark betroffen. Die Wirtschaft soll um ca. 8% wachsen und ist damit weltweit Nr. 1. In Shanghai nehme ich die Krise gar nicht so war. Nur die Fernsehbilder aus der Guangdong Provinz sind beunruhigend – oft aber auch wieder dramatisiert. Ich gehe davon aus, dass in 6 Monaten alles wieder normal verläuft und sich die Krise gelegt hat und es wieder nach oben geht. Die Regierung hat hier sehr viel getan, damit es nicht so weit kommt. Das wurde übrigens in doppelter Geschwindigkeit durchgesetzt als in Deutschland.

Wie sieht man in Shanghai das Krisenmanagement der Regierung Merkel?

Frau Merkel genießt in China einen zweigeteilten Ruf – wirtschaftlich ist sie im Ausland angesehen, aber der Rest ist weniger gut. Frau Merkel hat sich in den letzten 3 ½ Jahren ihrer Politik zu sehr auf Außenpolitik konzentriert. Das Krisenmanagement dauert zu lange in Deutschland und neue Hiobsbotschaften aus Deutschland sind immer wieder in den lokalen Zeitungen zu finden. Insgesamt hat es Deutschland voll erwischt. Die Regierung hätte besser vorsorgen können und die Enteignungsdebatte ist wieder typisch Deutsch. Kein anderes Land überlegt solche Mittel…

Herr Kempe, vielen Dank für das Gespräch!

(Fragen: Knut Gierdahl)